Fallstudie Maria

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Als ich Maria kennenlernte, war sie 25 Jahre alt. Ich wurde ihr von ihrer Therapeutin empfohlen und sie kam mit dem Anliegen zu mir, an ihrer Sexualität arbeiten zu wollen.

Durch ihre Missbrauchserfahrungen war Marias Sexualität von Schuldgefühlen und Scham behaftet und es war ihr nicht möglich, Kontakte zum anderen Geschlecht zu knüpfen.

Maria hatte etwa 25 Sitzungen der traumaorientierten tantrischen Körperarbeit in einem Zeitraum von etwa zwei Jahren, über die sie im folgenden Interview berichtet.

Danke, Maria, dass du dich für dieses Interview bereit erklärt hast. Wie bist du zur tantrischen Körperarbeit gekommen?

Ich habe verschiedene körpertherapeutische Sachen ausprobiert, zum Beispiel Shiatsu oder Craniosacraltherapie. Da wird das Thema Sexualität immer ausgelassen, der Wunsch nach Heilung war aber da. Meine Musiktherapeutin hat mir dann Ernst empfohlen, einen Tantramasseur, der auch eine Ausbildung in Traumaverarbeitung (Somatic Experiencing) hat.

Ich habe dann ein Jahr lang seine Homepage betrachtet, bis ich gewagt habe, einen Gesprächstermin zu vereinbaren. Ich hatte da auch noch alle möglichen Ängste und Befürchtungen in Bezug auf den Ablauf des Gesprächs. Werde ich seine Gegenwart aushalten? Was wird er fragen? Ist das echt eine gute Idee, ihn zu treffen?

Wie ist das Kennenlernen dann abgelaufen?

Das war auf „neutralem Boden“ in einem Cafe. Ernst hat eine sehr beruhigende und unkomplizierte Art. Er hat alles genau erklärt, und dass ich jederzeit selbstbestimmt bin. Wenn ich nicht will, passiert gar nichts bei der Massage, und ich muss mich auch nicht ausziehen, wenn ich das nicht will. Wir haben dann den ersten Termin vereinbart, aber als reinen Gesprächstermin, in dem ich mir auch seine Praxis ansehen konnte. Das hat mir Sicherheit gegeben.

Wie war dieser Gesprächstermin dann?

Wir haben über Sexualität geredet. Ernst hat viel erklärt, sehr fundierte Auskünfte gegeben. Mir hat sehr die Information geholfen, dass körperliche Erregung auch auftreten kann, ohne dass man es will, als natürliche Körperreaktion. Das ist mir nämlich früher passiert, und diese Erklärung hat mir sehr viele Schuldgefühle weggenommen.

Was ist dir denn passiert, was ist deine Geschichte?

Ich habe in der Kindheit und Jugend verschiedene Arten sexuellen Missbrauchs erlebt. Ich hatte dadurch noch keinen Partner und keine Beziehung, aber der Wunsch danach war da. Mein ganzes Körpergefühl, meine ganze Sexualität war voll von Schuld- und Schamgefühlen. Ich möchte aber eine Familie und einen Partner, und ich habe beschlossen, daran zu arbeiten, diesen Bereich zu heilen.

Wie ist es dann weitergegangen mit Ernst?

Ich hatte noch große Bedenken – kann ich meinen Körper herzeigen? Mit all seinen körperlichen Makeln und Narben? Aber ich spürte auch: Genau diese Gefühle brauchen Heilung, und so habe ich mich auf die erste Berührungssession eingelassen. Ich habe dabei BH und Slip angelassen. Durch seine Hände habe ich dann schnell Geborgenheit gespürt und geahnt, in diesem geschützten Raum kann ich heilende Sinnlichkeit erfahren.

Bei der zweiten Session war ich dann schon unbekleidet – ich habe ohne BH begonnen und während der Massage hab ich den Slip ausgezogen – ich habe mich sicher gefühlt. Wir hatten auch ein Stop-Zeichen vereinbart, falls eine Berührung für mich nicht geht.

Wie waren die Massage-Sitzungen dann für dich?

Ich habe meine ureigene Kraft mehr und mehr gespürt. Ich habe gelernt, darauf zu achten, was mir angenehm ist, und das auch zu artikulieren. („Bitte dort berühren, hier länger berühren….“). Es war Neugierde da, und mit der Zeit kam der Mut, auch mehr zu wagen, Berührungen auszuprobieren. Mehr und mehr konnte ich die Massagesitzungen genießen und mich auf sie freuen.

Ich hatte während der Massagen nie Flashbacks. Nach den Sitzungen gab es manchmal einen Einbruch, das war aber aushaltbar, weil ich gehalten wurde, weil ich nicht alleine war, weil ich mich anlehnen konnte, und weil Ernst genau gewusst hat, wie er mit solchen Einbrüchen umgehen soll.

Ich habe mich besser kennengelernt und habe mich auch mehr und mehr getraut, über meine Sexualität Fragen zu stellen.

Noch etwas war interessant: Wenn ich regelmäßig – also mindestens alle zwei Monate – zur Massage gegangen bin, war mein PMS unter dem ich litt, völlig verschwunden, ebenso wie die Regelschmerzen.

(Anm.: PMS = Prämenstruelles Syndrom, das sind komplexe körperliche und emotionale Beschwerden in den Tagen vor dem Einsetzen der Regelblutung)

Und wie geht es dir heute, zwei Jahre, nachdem du diese Kombination der Körperarbeit mit der Traumaarbeit nach Somatic Experiencing begonnen hast?

Vorher hatte ich ja nur Gesprächstherapie nach Somatic Experiencing bei meiner Traumatherapeutin. Vor zwei Jahren habe ich begonnen, diese Körperarbeit zusätzlich zu machen. Ich muss dazu sagen, ich bin noch nicht am Ziel, aber ich habe riesige Fortschritte gemacht.

Ich kann es genießen, mich selbst zu berühren. Meine Fantasien, was ich erleben möchte, sind vielfältiger geworden. Ich bin in Kontakt mit meiner Urkraft. Ich kann ganzkörperliche Lust erleben.

Ich kann mich selbst im Spiegel betrachten und mich als anziehende, sinnliche Frau sehen, und kann damit auch in der Öffentlichkeit spielen.

Die Angst vor Berührung hat sich in den Wunsch nach Berührung gewandelt. Ich habe Freude am Berührt werden und am Berühren.

Wie hat sich deine Sicht auf die Männer geändert?

Die Angst, Männern näherzukommen, ist allmählich verschwunden. Bald habe ich begonnen, manche Männer attraktiv zu finden, habe mich aber nicht in den Kontakt getraut. Ich hatte durch meine traumatischen Erlebnisse einen Widerstand, einen männlichen Penis auch nur aus der Ferne anzusehen, geschweige denn näherzukommen.

Das ist vor nicht allzulanger Zeit ziemlich plötzlich und unerwartet verschwunden. Ich sehe jetzt einen Mann als potentiellen Spielpartner, mit dem ich Sachen ausprobieren kann. Ich weiß genau, was ich mag und kann das auch vertreten.

Ich fühle mich bereit für eine Partnerschaft. Ich hatte sogar vor kurzer Zeit erstmals einen intimen Kontakt zu einem Mann, und zwar weil ich das so wollte, und es war gut!

Meine eigene Sexualität hat sich von meinen traumatischen Erlebnissen total abgekoppelt.

Gibt es noch etwas, was du noch sagen möchtest?

Ich möchte anderen Frauen durch mein Beispiel und mein Interview Mut machen, den Weg der Heilung der Sexualität zu gehen. Wäre ich früher draufgekommen, hätte ich mir einiges erspart! Da gibt es viel Interesse zu diesem Thema, aber auch große Angst, darüber zu reden. Gerade weil die Sexualität im Gespräch so tabuisiert wird – leider oft auch im therapeutischen Gespräch! Über körperliche Probleme im Intimbereich traut man sich gar nicht reden. Genau im Körper gibt es das größte Erfordernis der Heilung. Körperliche Flashbacks nach traumatischen Erlebnissen brauchen auch körperliche Heilung!

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